Die wahre Freiheit, Teil 2

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Wir haben mit der letzten Betrachtung ein weites Gebiet betreten, welches uns helfen soll, unseren christlichen Glauben befreiter zu leben. Verschiedene Formen der Unfreiheit hindern die Liebe Gottes, uns ganz zu durchdringen und – trotz des wunderbaren Glaubens, der uns geschenkt wurde – drohen, uns in manchen inneren Gefängnissen zu belassen; zumindest können wir nicht die ganze mögliche Freiheit verkosten, die Gott uns schenken möchte. „Nur der Sohn macht euch frei“ (Joh 8,34) so sagt uns Jesus.

Er will uns von unseren Sünden erlösen, die Auswirkungen der Sünde heilen und auch die inneren Sperren, welche das Licht Gottes beeinträchtigen, überwinden. „Löse, was in sich erstarrt“ heißt es in der Pfingtsequenz. Das können wir gut auf unser Thema anwenden, denn die Unfreiheit verkrampft uns innerlich, was tatsächlich im schlimmsten Fall auch bis zu einer Art Erstarrung führen kann.

Heute schauen wir zunächst auf eine weitere Unfreiheit, die beträchtlich verbreitet ist und unsere Seele bindet. Es sind die tiefliegenden Minderwertigkeitskomplexe, bzw. Minderwertigkeitsgefühle.

Solche Minderwertigkeitsgefühle haben nichts mit Demut zu tun. Sie kommen aus einer auf das eigene Ich bezogenen Grundhaltung und stehen dem Hochmut nahe. Man möchte etwas sein, etwas darstellen und merkt, daß man dem ersehnten Bild der eigenen Person gar nicht entspricht. Das aber gibt man sich nicht in der rechten Weise zu, um dann entsprechend Hilfe bei Gott zu suchen, sondern man ist innerlich gekränkt und beschämt. Man ist in der Begegnung mit Menschen befangen; in gewisser Weise sieht man sich ihnen unterlegen und es kann sogar leicht dazu führen, andere zu idealisieren.

Nehmen wir ein Beispiel:

„Jemand“ ist auf dem Land aufgewachsen und hatte nicht die Gelegenheit, sich eine guten Schulbildung zu erwerben, weil die Eltern arm waren. Andere hingegen hatten günstigere Lebensumstände und eine entsprechend bessere Bildung. Der erstere leidet nun immer unter seinem Mangel, er fühlt sich den anderen Menschen unterlegen. Zudem lebt er in einer Gesellschaft, welche die Bildung hochschätzt und Gebildeten eine besondere gesellschaftliche Anerkennung gibt. In allen Begegnungen mit Menschen, die eine höhere Bildung haben, verkrampft sich dieser „Jemand“. Er kann kaum normal kommunizieren und bewundert den anderen im gleichen Maß wie er sich selbst innerlich abwertet. Er erhöht den anderen, idealisiert ihn und träumt irgendwie davon, so wie dieser sein zu wollen. Der andere hat sozusagen immer einen Vorsprung vor ihm und er knechtet sich unter ihn.

Dieses Verhaltensmuster kann man auf viele andere Bereiche übertragen, wie z.B. Reichtum, Schönheit, Familie, Sport…

Derjenige, der in Minderwertigkeitsgefühlen gefangen ist, hat gleichermassen einen inneren Panzer um sich. Er will seine „Schande“ verbergen. Er muß ganz besonders viele Dinge tun, um sich bei anderen Menschen Eindruck zu verschaffen. Er kann sich nicht loslassen und wegen seiner inneren Befangenheit auf viele Situationen nicht frei und objektiv antworten, besonders in der Begegnung mit gebildeten Menschen. Geht er nicht bewußt mit dieser inneren Unfreiheit um, dann kann es sogar sein, daß er andere Menschen, denen er sich überlegen fühlt, mit der Zeit besonders herablassend behandelt.

Oft handelt es sich um unverschuldete Umstände, welche solche Minderwertigkeitsgefühle hervorrufen – wie bei unserem „Jemand“. Es kann aber auch sein, daß wir uns etwas zu Schulden kommen ließen, was uns zur Schande gereicht. Das kann uns auch innerlich fesseln und extrem unfrei machen, weil wir fürchten, daß die „Schande“ ans Licht kommt und wir daher auch nicht mehr frei auf gegebene Situationen antworten.

In allen Fällen ist es derselbe Weg, der uns aus dem inneren Gefängnis heraus- und in die Freiheit hineinführen kann. Wir müssen unseren Wert von Gott her verstehen lernen und das auch verinnerlichen. Wir sind geliebte Kinder Gottes. Gott liebt uns nicht, weil wir vor der Welt großartig sind oder weil wir besondere Talente haben. Gott liebt uns, weil wir seine Kinder sind, so wie wir ein Neugeborenes in der Familie lieben, wenn es von Gott geschenkt wird.

Diese einfache Erkenntnis ist sehr wesentlich, und es ist entscheidend, daß man sie verinnerlicht und sie unser Lebensgefühl prägen, denn sie befreit uns davon, in den Augen anderer Menschen immer etwas Besonderes sein zu müssen, uns unter sie zu knechten und unsere tatsächlichen oder vermeintlichen Mängel so hoch zu bewerten, daß wir seelisch an ihnen „ersticken“.

Auch wenn wir in Schuld gefallen sind und Schande über uns gebracht haben, dürfen wir nicht in einem inneren Gefängnis leben. Wenn Gott uns vergeben hat – was er immer tut, wenn wir aufrichtig zu ihm kommen – dann haben wir die letzte Freiheit gewonnen, auch wenn Menschen uns verachten mögen. Wir müssen dann auch ertragen können, daß unsere Schande sichtbar wird und dies als Läuterung oder auch in anderer Weise von Gott her verstehen. Niemand kann uns gefangennehmen, wenn wir unsere letzte Tiefe zu Gott hin öffnen.

Es gibt also Wege, wie wir tiefliegende Minderwertigkeitskomplexe überwinden und eine Freiheit gewinnen können, die Gott uns schenkt im Umgang mit anderen Menschen und uns selbst.